Schlimmheitsgrad. (TW: Vergewaltigung)
Es sind nur meine Gedanken über mich und ein klitzekleines bisschen Wiedergabe von dem, was meine Freundin mir erzählt hat. Bitte lest das nicht, wenn ihr schlechte Erfahrungen gemacht habt. Okay?
Libby.
Wenn dir eine Freundin erzählt, dass sie vergewaltigt wurde, vor nicht allzu langer Zeit. Dass ein Mensch ihr Gewalt angetan hat. Dass sie sich nicht wehren konnte, weil er größer, schwerer, erwachsener war. Wenn eine Freundin dir erzählt, dass er sie vier Stunden lang festgehalten hat. Und am Ende gesagt hat: "Ich bin fertig."
Und dein Herz dabei bricht.
Und du dann, wenn du das alles irgendwie in deinem Kopf sortiert hast, Worte an sie geschickt hast, versuchst, das alles zu verstehen.
Du dann einen kleinen bösen Gedanken in deinem Kopf hast. Dann hört sich das so an.
Ihr geht es soviel schlechter als dir. Du hast keine Hilfe verdient.
Und der Gedanke ist so riesig und so allumfassend und er frisst dich auf und dir wird wieder bewusst, dass es Menschen gibt, denen es soviel schlechter geht und du kriegst das nicht in deinen Kopf, dass sie vergewaltigt wurde, dass er sie angefasst hat, ... und es tagtäglich passiert.
Das Gefühl, ihr nicht helfen zu können, ihr nur zuhören zu können und ihr gut zuzureden. Dass sie ihn anzeigen muss. Dass seine Frau und sein Kind wissen müssen, wer er wirklich ist. Dass dieser Mensch ihr nie wieder nahe kommen darf. Dass .. es nicht ihre Schuld ist. Es ist unglaublich, was diese kleine Erzählung in deinem Kopf angerichtet hat.
Und du weinst schon, weil du Kino, Restaurantbesuche und Treffen mit vielen Leuten absagen musst, weil dir dabei "schlecht" wird. In was für einer Welt leben wir.
Angststörung.
Vergewaltigung.
Was wiegt schwerer?
Ich kann mich selber gerade nicht leiden, weil ich ihr Leiden benutze um mein Problem kleinzureden.
Aber es fühlt sich so verdammt verkehrt an, hier zu sein, Hilfe anzunehmen und das, obwohl es so viele Menschen gibt, denen es weitaus schlechter geht als mir.
Meine eigene Angststörung. Zu klein, als das sie einer Diagnose oder gar einem richtigen Wort bedarf.
Libby.
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- · Judith
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Hallo Libby,
was deiner Freundin passiert ist, ist ohne Zweifel schrecklich und was anderen Menschen überall auf der Welt passiert, kann so wahnsinnig grausam sein. Aber es gibt viele Dinge, die Menschen belasten können. Jeder verkraftet Dinge unterschiedlich, also ist für jeden etwas anderes schlimm, auch scheinbare Kleinigkeiten. Ängste sind starke Gefühle, die Angststörung ist für dich bestimmt nicht einfach, egal wie klein du sie redest. Nimm dir Zeit, damit du damit klar kommst. Rede darüber, wenn es dir hilft. Jeder hat etwas, was er nicht verkraftet und deswegen sollte auch jeder darüber reden dürfen.
Du schaffst das. Du kannst die Angststörung besiegen, aber rede sie dazu nicht klein.
Vergleiche dich nicht mit dem Leid anderer. Wenn es dich wirklich belastet und du Hilfe brauchst, bekommst du sie auch.
Aber den Gedanken kannst du auch nutzen. Schau ob es dir wirklich schlecht geht oder schon besser bzw. gut genug um langsam Stück für Stück in eine positive Richtung zu schauen. Schau, ob das ganze Negative lange genug da war und du damit schon ganz gut klar kommst, um es so langsam zu verabschieden.
Alles Gute
Judith