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Frühe Kindheit bis 1967; "Komm, o Tod, du Schlafes Bruder..." vs. "Ich lag in tiefster Todesnacht, du wurdest meine Sonne..."

 

Mutter musste kurz nach der Geburt wieder arbeiten. Sie war ja mit mir so gut wie allein, abgesehen von den Großeltern, in deren Haus wir weiterhin wohnten. Die Großeltern hatten mich nun auch aufgeladen. Alternativ hätte ich die Wochenkrippe besuchen müssen.

 

Von meiner Oma wird berichtet, dass sie am Tag den Kinderwagen im Garten so weit wie möglich vom Haus entfernt aufgestellt hatte. Wenn ich geschrien habe war ihr lakonischer Kommentar: „Das kräftigt die Lungen“. Mir hat sie sich erst wieder zugewendet, wenn ich an der Reihe war.

 

Unser Haus lag in einer Bergarbeitersiedlung nahe des Waldes. An sich eine ruhige Lage. Die Siedlung ist in sich geschlossen und nicht zur Durchfahrt geeignet. Die Häuser waren in ihrer Bauart für eine größtmögliche Selbstversorgung konzipiert. Der Platz zum Wohnen war stark eingeschränkt. Noch dazu, wenn zwei Familien unter einem Dach wohnen. Da hatte sich bis zu meiner Kindheit schon einiges geändert. Die Stallungen wurden zu Bad, Flur und Toilette umgebaut. Allein die Schlafräume waren für die andere Familie tabu. Alle anderen Räume wurden gemeinsam benutzt. Dies ging nicht ohne Reibungsverluste ab. Meine Oma war nicht unsauber aber niemals übertrieben reinlich. Meine Mutter hatte die Haushaltungsschule besucht und war die Reinlichkeit in Person. Außerdem wollte sie das einfache Leben der Bergarbeiter reformieren und Gebräuche und Sitten der gehobenen Gesellschaft einführen.

 

Mir hat sich das Bild eingeprägt, wie Mutter auf allen vieren mit der Teppichbürste oder dem Bohnerlappen durch die Wohnung robbt.

 

In meiner Kindheit waren Autos noch nicht so verbreitet. Damals war es noch so, dass mit der Unterschrift auf dem Kaufvertrag der Wert des Autos noch einmal exorbitant nach oben ging. Allerdings haben nur wenige das neue Auto überteuert verkauft. Musste man ja auch ein halbes Leben auf den fahrbaren Untersatz warten.

 

Die Straße vor dem Haus würde man heute wahrscheinlich mit Feldweg oder Motocross Strecke umschreiben. Es war eine Straße mit verdichteten Feldsteinen. An manchen Stellen konnte man den Eindruck gewinnen, als hätte sie in besseren Zeiten sogar eine Teerdecke besessen. Andere Stellen waren so ausgefahren, dass man ohne viel Aufwand Kompost und Blumen zur Verschönerung hätte einbringen können.

 

Es hatte den Vorteil, dass wir von Verkehr weitestgehend verschont blieben. Die frühen Jahre sind für mich ein schwarzes Loch. Ein einschneidendes Ereignis war, als wir, eigentlich meine Mutter, stolzer Besitzer eines PKW Trabant wurden. Das war im Dezember 1965. Wir fuhren damit auch gleich in den Winterurlaub. Das heißt, ein Nachbar hat uns mit unserem Auto nach Seiffen gebracht und nach einer Woche wieder geholt. Es lag reichlich Schnee und meine Mutter hatte sich die Fahrt wohl doch nicht zugetraut. Notgedrungen fuhr sie bis etwa zum 80. Lebensjahr Auto, ich vermute jedoch, dass die Freude daran bei ihr immer eingeschränkt war. 

 

Ich bin meist allein. Freunde habe ich wenige. Nein ich muss mich korrigieren, eigentlich habe ich keine. Oft darf ich den Garten nicht verlassen. Andere Kinder kommen selten in unseren Garten. Die Oma hat das nicht gern und kann alle gut vergraulen. Tagsüber sind die Kinder alle nicht da. Sie sind im Kindergarten. Ich darf da nicht hin. „Das haben wir nicht nötig“ heißt es, wenn ich danach frage. Manchmal schwärmen die anderen Kinder am Nachmittag davon, was sie im Kindergarten erlebt haben. Dann stehe ich am Tor oder auf dem Balkon und sehe den anderen sehnsüchtig zu, wie sie gemeinsam spielen. Manchmal darf ein Junge aus dem übernächsten Haus zu mir kommen, oder ich gehe zu ihm. Er wird zähneknirschend geduldet.

 

Ich komme erst mit sieben Jahren in die Schule. Das Jahr davor werde ich in den Kindergarten gebracht. Da war ich nicht mehr allein. Endlich unter vielen Kindern. Aber ich bin enttäuscht. Die Kinder kennen sich alle sehr gut. Ich bin neu, kenne mich nirgends aus. Ihre Spiele interessieren mich. Nur mitspielen lassen sie mich nicht. In dieser Kindergruppe bin ich einsam und ausgegrenzt.

 

Dumm nur, dass meine Schulklasse weitestgehend die gleiche Zusammensetzung hatte. Nur ein paar von außen kamen dazu. Die waren schon mal in der ersten Klasse und sind nach dem Halbjahr in die Hilfsschule gegangen. Ein Junge ist zugezogen. Er war sehr selbstbewusst, trieb schon Sport und hatte viel Kraft. Um den hat sich alles geschart. Nur ich nicht. Da ging auch bald der Spott los. Ich war halt unsportlich und dick. Gute Noten waren auch nur was für Streber. Ich konnte bei den anderen einfach nicht punkten. Mutter versuchte mich am Abend zu trösten und die negativen, verwerflichen Seiten der anderen Kinder als nicht beachtenswert aber gute Leistungen und Anstand und, und, und … als erstrebenswerte Eigenschaften darzustellen. Den Kern der Sache und den Tiefgang bei mir hat sie wohl nie erkannt.

 

Die Mutter ist auf Arbeit. Ich sehe sie nur am Abend. Wenn Sie Bereitschaftsdienst hat manchmal eine ganze Woche nicht. Ab und an nimmt sie mich am Wochenende mit in die Apotheke. Das ist interessant. Die vielen Flaschen, Behälter, Schachteln und Tüten. Verschiedene Waagen von sehr groß bis besonders klein. Mutter hält die kleinste zum Abwiegen wie einen Ring am Finger. Eine Waage in einem Glaskasten darf ich nicht mal angreifen. Wenn ich dieser Waage zu nahe komme gibt es regelmäßig ein Donnerwetter. Ständig muss sie an das kleine Fenster der Ladentür und hat dann wieder keine Zeit für mich. Kinder gibt es in der Apotheke leider nicht, Platz zum Spielen kaum und schon gar nicht im Freien. Schließlich waren in der Stadt rund um die Apotheke befahrene Straßen.

 

Das Abendbrot wird gemeinsam eingenommen. Die Großeltern, Mutter und ich. Danach geht es flugs ins Bett.

 

Einen Vater kenne ich nicht. Die Nachbarskinder haben einen Vater, ich habe einen Opa.

 

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